Paula C. Georges
„ … und schlafe hundert Jahr …“
Szenische Spiele der Burnout-Gruppe im Kliniktheater von Bad Himmelen
Ort:
Burnout-Klinik in Bad Himmelen
Personen:
Klinikteam, reizend
Hl. Petra Klinikchefin in Bad Himmelen, taucht aber nie leibhaftig auf, nur als Projektion
Rita Engel Allroundtherapeutin im Klinikum
Rudolf Purzel„Männchen für alles“ im Klinikum, ebenfalls Therapeut etc., Ex-Ehemann des Rauschgoldengels
Patienten, verhärtet vor Tüchtigkeit
Prof. Fritz
Majorin
Student
Frau Ka
Erstes Trimester
Ankunft: Gespenster
Bühne dunkel. Geräusche von ankommenden Autos. Dazwischen Vogelgezwitscher und Wasserplätschern. Dann wieder Autos. Schritte. Kofferschleppgeräusche. Stöhnen. Seufzen. Vogelzwitschern.
Dämmerlicht.
Man sieht ab und zu die ankommenden Patienten als graue Gestalten überbetriebsam hin und her laufen. Sie kommen auch aus dem Zuschauerraum. Manche setzen sich zunächst irgendwohin und wollen weinen, können aber nicht. Dafür scharren sie ständig mit den Füßen, lachen unvermittelt und hören genauso plötzlich wieder auf. Sie sagen „Hallo“ und „Kein Problem“, dann versuchen sie wieder zu weinen, können aber nicht, stehen auf und hasten schleppend weiter.
Aufblitzende stummeBild- und Video-Projektionen von Stellungskriegsfronten, Materialschlachten, Schönen Neue Arbeitswelten. So schnell blitzen die Bilder auf, dass sie eher assoziativ wahrzunehmen sind – eher wie FeuerwerksBilder aus dem Off
Allmählich hellgrau werdendes Dämmern. Das Vogelzwitschern nimmt überhand. Ebenso das Wasserplätschern. Wohlriechende Düfte. Heftiges Flüstern: „Bodyscan Bodyscan!“
Die grauen Gestalten in Sack und Asche aber mit grell geschminkten roten Lippen und gekajalten Augen, Wangenrouge all over, begrüßen sich und auch einige Zuschauer nun mit Handschlag: „Guten Tag!““Guten Tag!“ Einer sagt „Frohe Weihnachten“, ein anderer „Frohe Ostern“, ein Dritter „Alles Gute zum Geburtstag“ Es wird extrem viel gelächelt.
Bühne erleuchtet.
Links und rechts am mittleren Bühnenrand steht je ein doppelstöckiges Feldbett.An der Rückwand ist eine golden glitzernde Himmelsleiter angelehnt, die bei Bedarf als Rettungstrage, FeldbettLeiter, Sänfte etc. genutzt werden kann.
Rita Engel und ihr Co Rudolf Purzel auf die Bühne von rechts und links.
Rita Engel, läutet mit einem Glöckchen, sehr laut:
Wir bitten zum Empfang! Die neu angekommenen Patienten mögen sich bitten im Theatertherapieraum der Klinik zu Bad Himmelen einfinden: Prof. Fritz! Die Majorin! Der Student! Frau Ka! Bitte zum Empfang! Prof. Fritz, Majorin, Der Student und Frau Ka! Bitte zum Empfang!
Die grauen Gestalten hasten auf die Bühne. Kurzatmig. Atemlos. Nervös kichernd einerseits, betont lässig andererseits.
Empfang
Die Patienten Prof. Fritz, Majorin, Student und Frau Ka rechtsRita Engel und Rudolf Purzel vorne mittig, reichen Sektgläser
Rita Engel:
Sehr geehrte Patienten, alte, neue, Wiedergänger und solche, die es werden wollen!
Im Namen unserer Klinikchefin im Hintergrund Projektionsbild der Heiligen Petra
begrüße ich Sie zum diesjährigen Trimester-Trio der Lebensfreudewiedergewinnler hier in unserer Klinik in Bad Himmelen! Wir wollen, dass Sie sich wohlfühlen.Deshalb lächeln wir ohne Falsch. Das gibt es. Wir haben es bis ins Innerste trainiert. Wir wollen Ihre Sicherheit und Wohlgefallen. Schaut sich um. Purzel klatscht Beifall. Patienten, zögernd, ebenfalls. Rauschgoldengel schelmisch weiter. Und ich kann Ihnen versprechen, dass wir versuchen werden, Sie zum Lachen zu bringen. Setzt sich eine Clownsnase auf. Purzel lacht. Nicht nur, dass das die Lebensgeister- und kobolde stärkt, zupft sich an der Clownsnase , das soll Ihnen auch die finsteren Grübeleien vertreiben und so weiter. Natürlich gibt es auch alternative Spritzen und Medikamentenberge und andere spirituell notwendige Behandlungen. Aber zuvörderst dürfen Sie spielen! Prof. Fritz klatscht. Ja, unser lieber Herr Prof. Fritz, wie jedes Jahr gell. Er kennt sich schon aus. Sie dürfen Gleiche im Unglück spielen. Märchen und Himmel und Hölle. Prost! Purzel, der inzwischen auf silbernen Tabletts die Sektgläser verteilt hat gibt das Kommando zum Anstoßen. Alles erheben das Glas, prosten sich zu. Unser Essen ist ausgezeichnet verträglich mit der Zeit. Nicht zu süß, nicht zu sauer. Sie werden lernen, wie Sie sichin himmlischem Selbstvertrauen ergehen und so weiter. Prost! Alle prosten.
Zunächst einige Daten zum Ablauf Ihrer von uns geplanten Heilung und so weiter.
Erstes Trimester: Durch unterstützende Autobefruchtung entwickelt sich ein – Ihr – Inneres Kind! … Zunächst völlig unbemerkt … von Ihren Stimmungsschwankungen … sind normal, auch Übelkeit, sich häufendes Weinen, ständige Müdigkeit und Übersensivitismus. Am Ende des ersten Trimesters könnten Sie mit etwas Glück schon die Gesichtskonturen Ihres Inneren Kindes erkennen. Die Nabelschnur zwischen Ihnen wird dann schon vorhanden sein.
Im zweiten Trimester werden sich Ihre Körper und Seelen stabilisieren. Sie werden an Gewicht zunehmen und eine schützende Fettschicht bilden. Ihr Schlafrhythmus ändert und verselbstständigt sich. Alles wird weiter und dehnbarer. Sie werden mit dem inneren Nestbau beginnen.
Im dritten, Ihrem letzten KlinikTrimester, werden Sie häufig die Bewegungen Ihres Inneren Kindes zu spüren bekommen. Das kann schmerzhaft wie scherzhaft sein und Ihnen wiederum den Schlaf rauben. Auch Alpträume von der baldigen Rückkehr in die frühere AlltagsWirklichkeit und von der Geburt Ihres hoffentlich kräftigen Inneren Kindes werden zu dieser Zeit dazugehören. Das ist völlig normal. Ihr Herz wird schneller schlagen als gewöhnlich. Ihr Leben wird von nun an ein anderen sein. Nichts ist wie vorher.
Die Patienten fangen an, zunehmend mit den Füßen zu scharren. Majorin droht in Ohnmacht zu fallen. Frau Ka winkt um Hilfe und stützt sie.
Bettenverteilung, erste Runde.
Purzel und Prof. schieben die zwei doppelstöckigen Feldbetten nach vorne mittig in geringem Abstand nebeneinander. Der Student legt sich als erster in das linke untere Bett und streckt sich.Purzel und Prof. tragen diegoldene Himmelsleitervor und legen die Majorin wie auf einer Rettungsbahre darauf, transportieren sie damit und heben sie behutsam auf das rechteuntere Feldbett. Dann winken sie den Student wieder aus den Bett, damit er ihnen helfe, die Himmelsleiter quer über die oberen Feldbetten zu legen, wie ein Brücke, ein Steg o.ä. Rauschgoldengel steigt mit Hilfe Purzels und des Profs. auf diese Himmelsleiter und stellt sich mit ausgebreiteten segnenden Armen darauf. Prof Fritz setzt sich zur Majorin auf den unteren linken Feldbettrand hält ihr die Hand. Frau Ka bleibt allein rechts stehen und weiß nicht, wozu das gut sein soll. Purzel fährt im Folgenden auf einem Fahrrad immer weitläufig um die Betten im Kreis herum und ist zur Stelle, wenn was gebraucht wird.
Rita Engel in segnender Pose auf der Himmelsleiter über den Feldbetten:
Ich bin Engel. Ein Engel aus Überzeugung. Ich sehe zwar amerikanisch aus, bin aber durchaus im weitesten Sinne germanisch. Ich habe den direkten Kontakt zum Kosmos. Ich tue das, war mir der Moment eingibt. Ich bin ein Medium höherer Energien. Ob Sie an Engel glauben oder nicht – ich bin einer. Ich könnte auch Lederhosen tragen oder eine Burka, auf einer Harley Davidson herdonnern oder mit einem Dreirädchen. Die höheren Energien sind real. Ich wünsche Ihnen ein dreifach kräftiges Halleluja!
Alle ungläubig murmelnd :
Halleluja!
Rita Engel:
Worte der Heiligen Petra, unserer Klinikchefin!
Als Videoprojektion im Hintergrund die Arbeitskriegsbilder überblendend: Die Heilige Petra als stumme, überlebensgroße, überweichgezeichnete Gestalt mit üblichen Klischees wie weißem Gewand, wallendes weißes Haar etc. Ein weiblicher Petrus, der das Arbeitsklima „mütterlich“ zu beschwichtigen / besänftigen versucht.Klimabegünstigungsmetaphorik, himmlische Geborgenheitsassoziationen etc.
Rita winkt Purzel herbei, der daraufhin mit seinem Fahrrad nach vorne Mitte fährt, absteigt und einen Brief aus seiner Brusttasche zieht, öffnet und vorliest. Er spricht gebrochen, z.T. mit fremdländischem Akzent:
Isch glaube an die Allgewalt
des Lächelns
Mir ist immer wohl,
auch wenn ich selbst
einen Herzfehler habe
Ich könnte jeden Moment
Sterben,
tue es aber nicht
Ich habe Mitarbeiter,
wie Kinder,
die mich lieben,
Ich bin die Mutter
und das Leben
Auch wenn wir nicht froh sind,
sind wir froh,
wir bringen das systemische Lächeln
Sonst ginge das Leben nicht weiter
Gesundheit ist eine Frage
Der Lebenseinstellung
Isch glaube an die Gesundheit
der Heiterkeit
und an meine Gartenanlage
Manchmal sitzen wir unter Pyramiden
und grillen
Unser Klima ist nicht versaut
Wir bauen vor
Wir dämmen das Unmögliche ein
UnisonoBehandlung im SeelenKeller
Alles für Ihre Genesung
Ich bin das Paradies
Ich kenne keine Zweifel
Ich vertreibe sie
Unsere Bücher sind gut gefüllt
Ich vergrabe keine Talente
Ich bin die Allverstärkerin,
die Ruhe und das Leben.
Bettenverteilung, zweite Runde / Monologische Bekanntschaft
Frau Ka:
Ich habe einen Chefarztbehandlungstarif.
Purzel steckt den Brief wieder in die Brusttasche und fährt mit dem Fahrrad um die Betten herum zu Frau Ka. Rauschgoldengel klettert vonüber den Betten quer liegender Himmelsleiter herunter und eilt ebenfalls zu Frau Ka.
Rita Engel zu Frau Ka:
Unsere Chefin muss sich gerade einer Herzoperation unterziehen.
Frau Ka:
Und wer behandelt mich jetzt?
Rita Engel:
Wir setzen auf Selbstheilung.
Frau Ka:
Wie?
Rita Engel:
Sie machen alles selbst.
Frau Ka:
Bezahlt das die Kasse?
Rita Engel:
Sorge dich nicht, lebe!
Frau Ka:
Hatten Sie schon ein Burnout?
Rita Engel:
Jedes Jahr nach Weihnachten.
Frau Ka:
Und dann?
Rita Engel:
Ist bei uns im Mitarbeitervertrag geregelt. Zwischen den Jahren dürfen wir uns darein legen.
Deutet auf die Feldbetten.
Spot auf das Feldbett rechts unten, wo die Majorin liegt und sich nun aufsetzt.
Majorin:
Manchmal mache ich mir
Tabula Rasa
Ich mach mir den Kopf leer
Indem ich nicht mehr aufstehe
Aber der Traum wie der Alptraum
Belästigen mich
Mein Gehirn ist hyperaktiv
ReizReaktionsgeschädigt
Immer ist irgendwo Front
Ich kann nicht nichts tun
Nichtstun ist unmöglich
Immer zuckt was und
Macht mich wahnsinnig
Immer schmerzt was
Und hält mich von mir selbst ab
Ich will alles richtig machen
Ich mache alles richtig
Auch Gesundwerden ist eine Herausforderung
Ich wollt, ich könnte ewig schlafen ….
Prof. Fritz:
Es ist nicht die Arbeit
Es ist nie das Außen
Es ist immer das Innen
Das lernen Sie hier
Dass es immer mit VaterMutterSohn zu tun hat
In der tieferen, noch tieferen Ebene
Es ist immer das Drama
Des Ungeborenen, Abgetriebenen
Nichtgelebten und so weiter
Spot wieder auf Frau Ka und Rita Engel.
Frau Ka:
Ich möchte ein Einzelbett.
Rita Engel:
Die Kasse bezahlt jetzt nur noch Sammelunterkünfte. Tröstend Das hat aber auch Vorteile.
Prof Fritz, ruft:
Sie dürfen oben schlafen, wenn Sie wollen.
Purzel fährt mit dem Fahrrad vor und lacht. Deutet auf den Gepäckträger.
Rita Engel zu Frau Ka:
Fahren Sie nur mit! Steigen Sie auf. Purzel zeigt Ihnen alles. Rufend zum Prof:Danke, Professor! erläuternd zu Frau Ka: Prof. Fritz kommt jedes Jahr. Er kennt sich aus.
Frau Ka in ihrem grauen Kostüm setzt sich etwas ängstlich rittlings auf den Gepäckträger, Purzel ermuntert sie gestisch, sich bei ihm festzuhalten. Frau Ka umschlingt ihn von hinten. Sie fahren eine Runde, dann setzt Purzel sie vor den Betten ab und lässt sie absteigen.
Prof Fritz, steht auf, verneigt sich und stellt sich vor:
Grüß di! Fritz mein Name.
Frau Ka:
Guten Tag. Ka.
Purzel lacht und fährt weiter.
Prof Fritz:
Purzel macht alles möglich.
Frau Ka:
Therapiert er auch?
Prof. Fritz:Rita Engel:
Alles. Raunend sich zu ihr vorbeugendEr ist ihr Ex. Deutet auf Rita Engel. Ihr Ein und Alles. Funktioniert aber prima.
Prof stellt Frau Ka die Himmelsleiter ans Bett, damit sie hochklettern kann.
Prof. Fritz zu Frau Ka:
Aufi geht’s.
Frau Ka:
Mir wird schwindlig.
Prof. Fritz:
Das ist eine interessante Erfahrung.
Er hält ihr die Himmelsleiter fest. Unsicher schwankend steigt Frau Ka hoch und rollt sich dann ins Bett oben.
Prof. Fritz:
Prima, Frau Ka!
Frau Ka setzt sich nun auf den Bettrand.
Prof. Fritz:
Nicht herunterschauen. Geradeaus blicken!
Frau Ka tut wie geheißen, baumelt schließlich sogar mit den Beinen.
Frau Ka:
Sehen Sie mich?
Prof Fritz:
Halt von unten.
Purzel fährt vorbei. Bleibt mit dem Fahrrad stehn und lacht freundlich zu Frau Ka hoch.
Frau Ka:
Ich bin es gewohnt, alles alleine zu managen.
Majorinsteigt aus dem Bett: Ich interessiere mich nicht für andere.
Purzel winkt ihr. Majorinnimmt das Fahrrad und radelt weg.
Prof. Fritz turnt nach oben und setzt sich auf das gegenüberliegende Feldbett, zu Frau Ka:
Schießen Sie los!
Purzel setzt sich währenddessen auf die Himmelsleiter und putzt seine Schuhe.
Frau Ka:
Man kann Geld machen
Ohne verrückt zu werden
Man kann Kapitalist sein
Und trotzdem wahnsinnig interessant
Der Kapitalismus ist wie das Leben selbst
Uferlos und unverschämt
Ich war Maklerin ohne Makel
Ich führe Menschen wie Geschäfte
Ich bin geschult
Man kann auch sagen:
Ich wurde mit allen Wassern gewaschen
Ich liebe meine Arbeitnehmer
Sie sind das Wichtigste,
was wir haben
die Ressource neben Gas, Öl, Sonne,
Wind und Ozean
Man muss Menschen
Von sich selbst begeistern können
Ich selbst bin das Leben
Gnadenlos ruhelos
Und voll plötzlicher Katastrophen
Ich bin nicht zu bändigen
Rita Engel:
Wo ist der Student?
Frau Ka:
Er schläft unter mir.
Student, zerzaust aus dem unteren rechten Feldbett kriechend:
Schön wärs.
Purzel steigt von der Himmelsleiter und hilft ihm aus dem Bett.
Rita Engel:
Ich mache Ihnen ein Lavendelpäckel.
Student:
Kann ich auch eine Spritze?
Rita Engel:
Jetzetle machen wir erst mal noch Ihre Aufstellung, dann krieged Sie alles.
Winkt dem Prof., der Majorin und Purzel, dass sie sich vom Studenten „aufstellen“ lassen. Alle stellen sich rechts auf in verteilten Feldern. Student links, sie betrachtend.
Student:
Ich habe keine Fragen.
Rita Engel:
Das kommt noch.
Majorin radelt wieder herbei, sieht, dass die Betten frei sind, turnt auf die Himmelsleiter und vergräbt sich in das obere Bett des Professors.
Student:
Ich habe auch ein Statement vorbereitet.
Rita Engel und Purzel bedeuten den andern, sich auf dem Boden niederzulassen und zu lauschen. Die anderen seufzen und hocken sich z.T. gähnend hin.
Student, vorne an der Rampe sich aufstellend
Das Leben liegt schon hinter mir.
Seit es vor mir lag.
Ich bin ganz international verlernt.
Und habe schon einige Abschlüsse hinter mir.
Ich bin mir selbst eine MasterCard
– multilingual, multifunktional.
Ich liebe wie ich lebe
mehrdimensional selbstoptimiert
Ich liebe pluralistisch effektivintensiv
Meine Freundinnen sind schön.
Ich bin schön.
Wir sind sehr intelligent.
Wir haben gelernt, optimistisch zu sein
Und an den ewigen Aufschwung zu glauben
Ich liege schon hinter mir
Obwohl gestern noch alles Zukunft war
Ich kann nichts mehr zu mir nehmen
Ich muss erstmal Platz schaffen
Alles ist in mir eingedrungen
Durch meine Poren und Hirnschranken
Ich bin vor mir selbst
Nicht sicher
Ich habe aufgehört zu schlafen
Um nichts zu versäumen
Das Leben ist zu kurz
Um zu schlafen
Schläfer sind Terroristen
Ich bin immer hellwach
Unter Strom
Ich bin hochdosiert
Und undurchdringlich berechenbar
zuverlässig und innovativ
Ich tue, was getan werden muss
Ich packe alles an
Was sich mir in den Weg stellt
Ich bin Hochleistungsleber
Ich bin auf hundertachtzig,
kann aber auf Knopfdruck
auch herunterschalten
in den Entspannungsmodus
Ich habe alles gelernt,
um erfolgreich zu sein
Ich will sogar Frauen und Kinder haben
Ich will alles,
was dazu gehört
Ich will dazugehören.
Die anderen klatschen höflich. Stellen sich auf.
Rita Engel:
Jetzt atmen! Alle atmen!
Alle atmen.
Rita Engel, die allgemeine Atmung anleitend:
Wir werden schwanger sein.
Wir atmen uns.
Wir atmen uns goldig.
Alle im Chor:
Wir atmen uns goldig.
Rita Engel:
Wir spüren, wie sich was in uns regt.
Alle im Chor:
Wir spüren, wie sich was in uns regt.
Rita Engel:
Und das nehmen wir zur Kenntnis.
Alle im Chor:
Wir spüren, wie sich was in uns regt.
Wir spüren, wie sich was in uns regt.
Rita Engel:
Und das nehmen wir zur Kenntnis.
Schweigen.
Rita Engel:
Und das nehmen wir zur Kenntnis.
Schweigen.
Rita Engel, insistiert:
Und das nehmen wir zur Kenntnis.
Schweigen.
Rita Engelrufend:
Rudolf, komm!
Rudolf Purzel radelt herbei.
Rita Engel:
Übernimm du mal!
Rudolf Purzel :
Wo warst du?
Rita Engel:
Mentale Schwangerschaftsvorbereitung, Satz 2.
Rudolf Purzel sich vor die Gruppe stellend:
Wir spüren, wie sich was in uns regt.
Bemerkt, dass Student immer noch abseits von der Gruppe links steht.
Rudolf Purzel zum Studenten:
Was ist mit Ihnen?
Student:
Ich will doch kein Kind.
Rita Engel, erklärend zu Purzel:
Er kann nicht.
Rudolf Purzel:
Ach so.
Student:
Ich habe keine Zeit zum Leben.
Rudolf Purzel:
Ach so.
Majorin ungeduldig:
Können wir nun weitermachen?
Prof. Fritz, aufmunternd zum Studenten:
Machen Sie doch mit. Atmen müssen Sie ja sowieso.
Rita Engel, schelmisch:
Dürfen, Herr Professor!
Prof. Fritz sich verbessernd zum Studenten:
Atmen dürfen Sie doch sowieso.
Student:
Ich bin so müde.
Alle, im Chor:
Ich bin so müde!
Ich bin so müde!
Ich bin so müde!
Rita Engel zu Purzel:
Geh halt ein bissel Meeresbrise holen.
Purzel radelt ins Off, um Meeresbrise zu holen.
Frau Ka fällt in Ohnmacht.
Majorin:
Ich kann das nicht länger mit ansehen.
Majorin verschwindet. Kommt dann mit Rudolf auf dem Fahrradgepäckträger wieder hereingeradelt. Rudolf versprüht Meeresbrise. Prof. geht zum Studenten, legt ihm den Arm um die Schulter und geht mit ihm nach links, ihn in die Gruppe integrierend.
Alle atmen.
Rudolf Purzel und Rita Engel,nun gemeinsam die allgemeine Atmung anleitend:
Wir spüren, dass sich was in uns regt
Und das nehmen wir zur Kenntnis.
Alle, im Chor:
Wir spüren, dass sich was in uns regt
Und das nehmen wir zur Kenntnis.
Rudolf Purzel und Rita Engelunisono:
Wir geben dieser Regung keinen Namen
Wir atmen durch uns hindurch
Alle, im Chor:
Wir spüren, dass sich was in uns regt
Und das nehmen wir zur Kenntnis.
Rudolf Purzel und Rita Engelunisono:
alles bewegt sich,
auch die Steine in uns,
wir bewegen die Steine in uns,
die Rückenmarkssteine,
die Herzmuskelsteine
und die unentdeckten
Eine große Versteinerung
Hat in uns begonnen
Wir sind Fossile
jahrtausend-
jahrmillionenalte
Verwerfungen
haben uns geprägt
die billionste Sehnsucht
hat uns das Herz gebrochen
Wir finden in uns
Granatsplitter
aus früheren Familienkriegen
Aber wir spüren sie auf
Und spülen sie durch unser
Seelengedärm
Neue Aufstellung. Nun ist Frau Ka, diejenige, die sich von rechts vor die Gruppe stellt, deren Aufstellung betrachtend.
Majorin, ungeduldig:
Sie DÜRFEN beginnen!
Frau Ka:
Ich war mir ziemlich sicher
keinen zu vermissen
die Tyrannei der anderen et cetera
der Außenstehende
hat doch den Überblick
das zweite Gesicht des Fremden
Er lächelt über
die Verwursteten
Die Einsamkeit ist doch
allgemein
Wenn das Sehnen
nicht erwidert wird und so weiter
Ich habe alle Zeit
mir keine Sorgen zu machen
Aber der Rahmen der anderen
aus dem ich fallen kann
fehlt mir
Ohne Wiederstand
werden meine Worte sinnlos
Im Ohne-die –anderen-Vakuum
gibt’s keine Frage, gibt’s keine Antwort
Wer fehlt
kann nicht überraschen
Ich vermisse
dein Staunen
Rita Engeln:
Räkeln! Seufzen!
Allgemeines Räkeln und Seufzen.
Rudolf Purzel, munter:
Wer ist jetzt in der Reihe?
Majorin:
Ich hasse Gruppentherapien.
Die Gruppen bewegt sich von links nach rechts, bis Majorin allein seitlich, den anderen gegenübersteht.
Majorin:
Ich habe einen Lebenskomplex
aber eigentlich bin ich sehr witzig
Ich kann eine ganze Kompanie zum Lachen bringen
aber nicht lang
Ich bin ein überbetreuter Stein.
Erst wenn ich hundertachtzigprozent ausgedient bin
geb ich mich zufrieden
Wenn ich meine Betreuer sehe
ergreife ich die Flucht
Ich liege auf zwei Doppelmatratzen
und kann die Milbe im tiefsten Stock unter mir spüren.
Ich habe Angst mich nicht mehr bewegen zu können
Ich hüpfe und hüpfe und aknn nicht aufhören zu hüpfen
Wo ist mein Liebster
Gott sei Dank ist mein Liebster immer da
Sie weint.
Purzel nimmt sie aufs Fahrrad und sie radeln fort.
Die Gruppe verteilt sich im Raum.
Schließlich separiert sich der Professor.
Rita Engel nickt ihm zu.
Prof. Fritz:
Früher haben wir den Erbfeind vernichtet
heute vernichten wir uns selbstständig.
Purzel und Majorin radeln wieder herein. Majorin radelt auf eigenem Rad.
Prof. Fritz:
Schulung!
Alle stehen stramm
Alle im Chor:
Unser ferngesteuertes Hirn!
Prof. Fritz:
TestUrteilVereinbarungswächter!
Alle im Chor:
Kompetenzmarathon!
Prof. Fritz:
ListenEinheiten!
Bewertungsoffizien!
Alle im Chor:
DienstDienste
KonferenzKonferenzen
Prof. Fritz:
Test!
Alle im Chor:
Test!
Prof. Fritz:
Test!
Alle, im Chor:
Jetzt weiß ich Bescheid!
Majorin:
Klasse!
Prof. Fritz:
Ich bin Reserveoffizier!
Frau Ka:
Rechnungen, mit denen ich nicht gerechnet habe
Alle, im Chor:
Rechnungen, mit denen ich gerechnet habe
Frau Ka:
alles einscannen, auch Erfahrungen
Alle, im Chor:
und hochladen
Frau Ka:
vor allem Freundschaften
Alle, im Chor:
auf unseren Onlineserver
Frau Ka:
Wie könnten sonst Gemeinsamkeiten
zweifelsfrei nachgewiesen werden
Alle, im Chor:
Sicherheitshalber vor Brand und Diebstahl
Frau Ka:
wenn einer sein Gedächtnis verlöre
könnte er leugnen, mein Freund gewesen zu sein
Alle, im Chor:
mit ihm könnte ich nicht mehr rechnen
dass er nur Bescheid weiß
Frau Ka:
Ich könnte ihm Liebe und Verbindlichkeit
nachweisen
Ordentlich verbucht und abrufbar
Eine verordnete Verbindlichkeit
Immer dranbleiben und scannen
abheften und hochladen
Bescheid gegeben haben und
Bescheid bekommen
Was da war, was da ist und sein würde
wenn wir an alles denken
Alle, im Chor:
wenn wir an alles denken
Frau Ka:
immer to-do-gelistet auf neuestem Stand
immer noch einmal nachweisen
nachtragen, behaupten, widersprechen, Recht behalten
haften für Ungeheuerliches
nicht beheimatet sein
ohne BestätigungsÜberlebens- und Ablebensdokumentationen
Zweifelsfrei, am besten lückenlos
Bescheid geben
Recht haben
Rechnungen bestreiten
mit Streitigkeiten rechnen
diese einscannen
kopieren
Alle, im Chor:
kopieren
kopieren
kopieren
Es folgt eine Aussprache des Kliniktherapeutenpaars. Rita Engel und Purzel zum Publikum
Rita Engel:
Auch wenn man nicht glücklich ist,
sollte man so aussehen
Wenn einem die Haare ausfallen,
sollte man eine Perücke tragen
Wenn einem der Glauben abhanden kommt,
sollte man beten
Rudolf Purzel:
Es gibt die, die Macht wollen
und andere wollen lieber unsichtbar
bleiben
Rita Engel:
Du hast nie einen Abdruck
hinterlassen wollen
Du bist was du bist
Purzel lacht
Rita Engel:
Damit hast du sogar
deine Schwester überzeugt
Projektion der Hl. Petra erscheint im Off
Stimme aus dem Off, die die der Hl. Petra sein könnte:
Im Paradies haben alle
ihren Frieden gemacht
das Wahrhaftige
mit dem Verlogenen
Zärtlicher Liebhaber
ist der Ausbeuter
in unserem Garten
Der Cowboystiefel
kann sich nicht selbst
in den Hintern treten
Blumen duften auch
in der Diktatur
Rita Engel:
Mir macht es nichts aus,
nicht Chefin zu sein
in meinem Vorhof
pulst auch das
königliche Herz
Ich bin geschickt
im Zufriedensein
und darin konsequent
Rudolf Purzel:
Sie kann berauschend kommunizieren
Rita Engel:
Die Kunst der Pralinés
versteht nur der Genügsame genug
Rudolf Purzel:
Ich kann es einfach nicht bedauern,
kein Reifezeugnis bekommen zu haben
Stimme digitalisiert aus dem Off:
Worauf es ankommt
ist das beständige Atmen
Wir sind Ihr Herzschrittmacher
und Ihr Durchblutungsgebet
Wir können Sie in Alltagstraue versetzen
Das Äußere wird unsichtbar
wenn Sie genügend scheinen
Rita Engel:
Ich habe nicht gelernt
aufzutrumpfen zum Glück
Rudolf Purzel:
Du bist eine gute Menschin
auch wenn ich dich nicht mehr liebe
Rita Engel:
Auch nach der Liebe
haben wir Wohnungen
und ein Girokonto
Wir haben uns geteilt
und sind dann einfach weitergegangen
Purzel repariert sein Fahrrad. Rita zieht ihre Schwesternkleidung an.
Ende des ersten Trimesters
Zweites Trimester
Die Feldbetten sind nun links vorne zusammengerückt. Oben auf den Betten sitzen sich gegenüber Rauschgoldengel und Majorinin flüsternder Gesprächstherapie. Rauschgoldengel macht sich auf einem Klemmbrett ständig Notizen. Majorin schreibt ebenfalls eifrig alles auf, vergleicht ihre Notizen ab und zu mit denen des Rauschgoldengels.
Währenddessen macht Purzel mit den anderen rechts vorne im Kreis Körperaufwärmübungen. Allmähliches SichEinSummen. Man nimmt sich bei den Händen. Rückt noch enger zusammen. Schulter an Schulter. Prof Fritz stimmt ein Lied an. „Lean on me“.
„Lean on me“-Songtext:
Sometimes in our lives, we all have pain, we all have sorrow.
But if we are wise, we know that there’s always tomorrow.
Lean on me, when you’re not strong and I’ll be your friend.
I’ll help you carry on, for it won’t be long ‚til I’m gonna need somebody
to lean on.
Please swallow your pride, if I have things you need to borrow.
For no one can fill those of your needs that you won’t let show.
You just call on me brother when you need a hand.
We all need somebody to lean on.
I just might have a problem that you’ll understand.
We all need somebody to lean on.
Lean on me when you´re not strong, and I’ll be your friend.
I’ll help you carry on, for it won’t be long ‚til I’m gonna‘ need
somebody to lean on.
You just call on me brother when you need a hand.
We all need somebody to lean on.
I just might have a problem that you’ll understand.
We all need somebody to lean on.
If there is a load you have to bear that you can’t carry.
I’m right up the road, I’ll share your load if you just call me.
Call me (if you need a friend)
Call me
(REPEAT AND FADE)
Man versucht gospelchoreuphorisch das Publikum mit einzubeziehen in die Heilsgesänge …Fade out.
Schließlich alle auf dem Boden liegend. Atmend. Wow!
Spot auf die Majorin auf dem Feldbett
Majorin, zwischen ihren Notizbergen:
Anschreiben
Gegen die Depression
Weil man ja keinen
Anschreien kann
Keinen verantwortlich
Machen kann
Weil keiner was dafür kann
Dass es so ist wie es ist
Und dass das auch gar keinen Sinn hat
Dagegen zu sein
Weil das sowieso keinen Sinn hat
Dagegen zu sein
MAN muss immer dafür sein
SONST WIRD MAN KRANK
JA JA
Alle sagen JaJa in der Klinik
Ja Ja und Ja Ja
und JAJA
Rita Engel und Purzel helfen der Majorin beim Absteigen vom Feldbett, nehmen dann die Himmelsleiter, setzen Majorin darauf und tragen sie im Folgenden wie in einer Sänfte herum. Alle anderen im Gänsemarsch hinter der Sänfte. Majorinmuss lachen. Sie wird zunehmend vergnügter, je länger sie auf der Himmelsleitersänfte herumgetragen wird. Wenn Rauschgoldengel kurzatmig zu werden droht, löst der Prof. sie beim SänfteTragen ab.
Rita Engel:
Ich tue immer so,
als ob immer Weihnachten wäre
nur trinken dürfen sie nicht,
die Patienten
damit sie sich nicht selbst schaden
und anderen
Sie müssen sorgfältig behandelt werden
Sie sind Privatpatienten
Aber ohne Alkohol
Ich bin der Nachtengel
Wenn sie nicht schlafen können
Vor Lebenspanik
Ich gebe ihnen Tropfen und Kügelchen
Und auch eine Massage
Bis 0:30 Uhr
halte ich sogar für einige Minuten
Händchen
Ich teile abends
die Kuscheltiere aus
Gottvater, Maria und Franziskus
Sie werden täglich
Energetisch aufgeladen
Ich channele ihnen
Das gute Leben ein
Ich glaube nicht an den Weltuntergang
Ich bin gut erzogen
Purzel die Himmelsleitersänfte mit der Majorin darauf vorne tragend, schon ein bisschen schnaufend in seinem fremdländischen Akzent:
Ich tu‘ nur so,
als ob ich schlecht verstehe
Ich höre nicht
Ich ahne eher,
was sie sagen wollen
Es macht mir Spaß,
den Rosenkavalier zu spielen
– oder auch Hausmeister
Ich bin hübsch
Das ist gefällig
Ich trage Hosenträger
Weil ich so hübsch bin
Ich bin immer zur Stelle
Wenn man mich braucht
Ich kann besonders gut lächeln
Weil ich gar nicht alles verstehen muss
Aber ich höre gut hin
Und versuche Worte zu formen
Die mir fremd sind
Ich bin die Antwort
Ich bin froh, dasein zu können.
Sie setzen die Himmelsleitersänfte ab.
Majorin, krabbelt herunter und verabschiedet sich:
Na dann, bis später, meine Lieben!
Die anderen halten ihr die Himmelsleiter, damit Majorin aufs obere Feldbett steigen kann. Dort verkriecht sie sich. Ab und zu schaut sie aber doch neugierig von oben dem unteren Treiben zu.
Glockenspiel, Schalmeien, Weihnachtsmusik Jingle Bells o.ä.
Man versammelt sich.
Rita Engel:
Höret die Geschichte der Hl. Petra!
Majorin lugt neugierig aus ihrem Bett hervor.
Rita Engel und Rudolf Purzel unisono:
Es begab sich aber zu der Zeit,
da die Erleuchteten und die es werden wollten
einen großen Tanz aufführten
Sie kreuzten die Hände, Arme, Beine und
die Brustbeine.
Sie waren ganz da und keiner fehlte.
Sie waren sich genug und konnten nicht genug davon haben
Eine aber war besonders wach
Und das nützte allen.
Sie hatte den großen Schlüssel
zur Nacht und zur Seligkeit
Alle wussten, dass sie wusste
Und es war gut so
Sie bauten ein großes Haus
Und noch eines
Und hinein zogen die Verirrten
Und Verwirrten
Die Zweifelnden
und Verzweifelten
und es waren derer viele
und sie wurden immer mehr
so dass weitere Häuser
zu errichten waren
so viele waren sie inzwischen,
dass sie über- und untereinander
zu liegen hatten
Und als die große Ruhe
über sie kommen sollten
erschien ihnen die Heilige
in einer gläsernen Pyramide
und schaute sie an
und immer nur an
bis alle Energie aus ihr
in sie strömte
und sie zu sangen begannen
manche holten sich auch
Pferde zum Glück
und wieder andere kopulierten
insgeheim und taten Gutes
aber alle, alle
hatten vom großen Sinn genossen
und nickten und winkten
und wollten hierher
immer wieder heimkehren
und bleiben und sein
Prof. Fritz:
Es tut so gut, glauben zu können
Student:
erst kurz vor der letzten
der Sterbensphase
noch einmal
ruhig gestellt
still stehend
auch gehend
aus der unendlichen Müdigkeit aller Tage
blau blinzelnd erwacht
Frau Ka:
hochtourgesteuert
verordnet
verdonnert
zeitlos gezogen
freiheitsverliebt
Augen geblickt
Nachtfunde
Morgengestimmt
Jetztjubel
Majorin, aus dem Bett springend und euphorisch deklamierend:
O Hara !!
Gedicht in meinen Unterbauch
Meine Beckenwiege
Sonnenzuflucht
Bärenhöhle
zwischen der Verdauungsfabrik
soll die Seligkeit sitzen –
oder steckt sie
sogar mitten im Mist?
Ei, wie sie sie da in den wabbelnden
Enzymzersetzungsbakterien
kultiviert ins Metatronzeitalter schwingt ….
ganz wundverschlungen
gluckst sie im Schaufelgehänge
da, wo die Liebe denkt,
Nachbarin Freundschaft
Und Kinder ihren Platz finden
eia popeia Gaia
der Ochse brüllt
wie das Ooohm
geborgen im Lebensfett
halten und walten die Felle, Sehnen, Gewebe
strenge Nerven und Blutgeflechte
zerfasernde Zellen und kugelige Kerne
alles verzweit und beeilt sich
im Strom zu bleiben
hin und her
oben, unten
O Hara passt auf
Und ihr Tönen hält
Feierliche klassische Frühlingsmusik, z.B. Vivaldi
Rita Engel, in die Hände klatschend:
Das klingt doch schon sehr schön, meine Damen und Herren!
Alle, durcheinander murmelnd:
Ja, ja, schön, ganz schön schön.
Rudolf Purzel:
Alles findet sich.
Rita Engel:
Haben Sie auch heute schon in sich hineingespürt?
Frau Ka:
Ich sehe immer nur meinen Chef.
Prof. Fritz:
Verwandeln Sie ihn in einen Igel
Rudolf Purzel:
Oder in einen Schwan
Frau Ka:
Igitt
Majorin beginnt zu joggen.
Prof. Fritz:
Ich habe ein mächtiges Königreich, manchmal sogar zwei. Ich diene und diene und vergesse das Mittagessen. Ich bin ein braver Bub.
Student:
Ich konnte bereits einen Wurstzipfel herunterwürgen. Wenn ich wieder lesen kann, werde ich mir die FAZ abonnieren.
Rita Engel:
So haben Sie also Einkehr gehalten.
Majorin joggt vorüber, winkt, ruft etwas.
Rita Engel:
Wir können Sie nicht verstehen
Majorin, kichernd an die Bühnenrampe zum Publikum:
Manchmal schlafe ich ein,
einfach so
Ich habe geträumt,
ich könnte mich so entspannen,
dass ich einschlafen kann
Es war natürlich ganz irreal,
aber manchmal vergesse ich
einfach, wer ich bin
Köstlich!
Glöckchengeklingel. Auf der Projektionsfläche erscheint ein milchiges Licht, konturenlos.
Prof. Fritz:
Wir, die „Gruppe der Anonymen Beschimpfer“ haben einen chorischen Text vorbereitet.
Rita Engel , etwas irritiert zu Purzel schauend:
Ja, nun. Hhm. Wir haben eigentlich für die heutige Gruppentherapie ein Märchenvorgesehen …
Frau Ka:
Nicht bewerten, fließen lassen!
Purzel lacht.
Rita Engel, räuspert sich:
Nun denn, wenn‘s der Selbstbefreiung dient.
Student:
Immer.
Rita Engel:
Denken Sie aber daran, den Körper mitzunehmen.
Frau Ka, bestürzt zu Prof. Fritz:
Oje, den haben wir wieder vergessen.
Majorinvom Feldbett herunter:
Scheißkörper!
Rudolf Purzel:
Es wird alles gut.
Majorin fängt an zu weinen.
Prof. Fritz zu Rauschgoldengel:
Vielleicht könnten wir lediglich eine Schattenprojektion…?
Rita Engel:
Sie dürfen machen, was Sie wollen.
Frau Ka:
Ich habe Angst.
Prof. zieht sie hinter die nun von vorne beleuchtete Projektionsleinwand, so dass sie nur noch als hinter und neben einander tanzende Schatten zu sehen sind.
Prof. Fritz:
Machen Sie mir einfach alles nach.
Student:
Aber ganz langsam.
Verschwindet ebenfalls als Schattenprojektionstänzer hinter der beleuchteten Leinwand.
Purzel, als Ansager vor dem Publikum:
Meine Damen und Herren! Wir präsentieren heute: „Die Gruppe der Anonymen Beschimpfer“ ! Ein chorischer Text mit gaaaaanz langsamem QiGong!
Prof. Fritz, Frau Ka und der Student machen während des folgenden chorischen Textes einen TaiChi-ähnlichen Schattentanz in Zeitlupe. Der Tanz kann aber auch zeit- und ruckweise kriegstanzähnliches Stampfen etc. beinhalten, mit ganzem Körpereinsatz, dann wieder spirituell-ideelle Langsamkeit.
Chortext der „Anonymen Beschimpfer“
Prof. Fritz, tanzend, fragend:
Wen beschimpfen Sie?
Frau Ka, seine Bewegungen langsam nachvollziehend:
Ich beschimpfe
Die Ohrenspitzer
Und Unglücksschmieder
Student, ebenfalls nachtanzend:
Die dir die Zunge verknoten
Und sich dann zuprosten
Prof. Fritz, Frau Ka, Studentim Chor, nebeneinander tanzend:
WIEDER EINEN ZUM MAULAFFEN
GEMACHT
KUSCH KUSCH
Sonst verdienst du nicht
KUSCH KUSCH
Prof. Fritz:
Hier gibt’s Lose
Student:
WERT-LOSE
Prof Fritz:
Und TÜCHTIGKEITS-LOSE
Frau Ka:
Reingegriffen und gelacht
Jetzt wird SINN gemacht
Student:
SINN-LOSE
Zum ersten, zum zweiten
Frau Ka:
Hauen Sie rein
Hier gibt’s sogar
Student:
PHANTASIE-LOSE
Frau KA:
Sie Niete,
ziehen Sie eins
Prof. Fritz:
Und machens fein Theater
Frau Ka:
Vor dem Herrn
Prof. Fritz:
Halleluja in der
Student:
Belle Etage
Prof. Fritz:
Es gibt sie noch
Frau Ka:
Die Gläubiger
Student:
der Gutgläubigen
Prof. Fritz:
Halleluja
Frau Ka:
Du bist ein Wert
Student:
Ein Wert
Prof. Fritz:
Ein Wert
Frau Ka:
Verfallen, gefallen, verwildert
Prof. Fritz, Frau Ka, Student:
WIR WÜNSCHEN IHNEN FÜR DEN
WEITEREN LEBENSWEG
ALLES WEITERE
UND SO WEITERE
Majorinvom Feldbett heruntersteigend:
ICH HALT DIE LUFT AN
Frau Ka:
ICH HALT DIE LUFT AN
Majorin:
Nicht atmen
Prof. Fritz:
Nicht leben
Student:
Lebensaussetzer
Prof. Fritz:
Vielleicht dann
Majorin:
Wenn ich tot bin
Student:
Atme ich auf
Alle vor die Projektionsleinwand, verbeugen sich. Majorin applaudiert. Rita Engel und Purzel applaudieren. Bedeuten dem Publikum, ebenfalls für die Patienten zu applaudieren.
Rita Engelwie bedauernd zum Publikum:
Sie sind erst im zweiten Trimester. Sie verstehen…
Majorinmit einem Mal unbeirrt:
Wie die alle so wichtig tun
Spot auf die Majorin, die jetzt auf der Himmelsleiter auf- und absteigend deklamiert:
Majorin:
Die Geldverdiener und
Geldverlierer
Die Obertüchtigen Allfunktionierer
Die HerzlichenDankMissbraucher
Und Intransparenz-Faucher
Die immer wissen was zu tun ist
Und immer so tun als ob
Dass alles nur sportlich
Zu nehmen sei
Das ganze Leben und
Vergebliche Vergehen
Ein Kapitalsportereignis
Kopf verloren
Hirn verbrannt
Kein Problem
Wo ist die nächste
Katastrophe
Komm nur
Ich bin der Chef
Sie können mir glauben
Sie werden verstehen
Sie dürfen jetzt gehen
Hahaha
Hahaha
Herr, hab Erbarmen
Lass mich Armen
Weiter für dich arbeiten
Und tragen des anderen Last
Und halten ihm
ein Lächeln hin
Herzlichen Gruß
Herzlichen HerzStillstand
Wir bedauern
außerordentlich
Nächster vor
Sie verstehn ….
Majorin hat sich nun in Rage deklamiert. Springt beherzt von der Himmelsleiter und verbeugt sich exstatisch, wirft die Arme hoch.
Die anderen Patienten klatschen ihr begeistert Beifall und machen La Ola. Dann Küsschen für die Majorin von Prof. Fritz zuerst, dann auch von Frau Ka, dem Studenten und Purzel, auch schließlich vom Rauschgoldengel.
Rita Engel nachdem sich die Szene wieder etwas beruhigt hat:
Mir hat besonders der religiöse Ton gefallen.
Die Patienten machen einfach ausgelassen weiter, ohne auf sie einzugehen. Jetzt fröhlich im Wechsel vor- und zurück tanzend wie in einer Revue CanCan-artig in der Reihe, die Beine hochwerfend, einschließlich Majorin, die jetzt dazu gehört.
Tanz-Musik, z.B. LindyHop, leise im Hintergrund
Revuetanztext
Frau Ka:
Ich hatte was Besseres zu tun
Majorin:
Ich hatte keine Zeit,
Student:
mich vor Ihnen in Sicherheit
Prof. Fritz:
zu bringen
Frau Ka:
Ich hatte keine Zeit
Majorin, fröhlich.
Ihnen eins auszuwischen
Prof. Fritz:
oder eine freundliche
Student:
Schutzstrategie
Frau Ka:
zu ersinnen
Majorin:
Ich hatte keine Zeit
Frau Ka:
mich auf den Montag
Student:
vorzubereiten
Prof. Fritz:
Für mich ist heut Sonntag
Majorin:
und morgen wahrscheinlich
Student:
auch
Frau Ka:
Ich hatte nämlich was Besseres vor
Alle:
JA
TanzMusik weiter im Hintergrund. Allmächlich sehr langsam werdend.
Alle nun Zeitlupen-Cool-Down-Bewegungen bis Stillstand.
Rita Engel, hustend:
Ich schlage vor, dass wir uns noch einmal sammeln und zum Abschluss heute einen meditativen Kreistanz machen.
Alle, etwas lustlos sich aufstellend, auch Rita Engel und Rudolf und Purzel im Kreis sich an den Händen fassend im Pilgerschritt sich wiegend zwei vor, einen zurück.
Kreistanztext
Alle,chorisch:
Die einzig Normalen
Sind doch die,
die nicht gut drauf sind
die’s einfach nicht drauf haben
zu grinsen, zu talken
und danke zu sagen
Danke, dass Sie mich angeschissen haben,
herzlichen Dank
dass ich mich nicht
auf Sie verlassen kann
Danke für die Zeit
in der ich mich
noch nicht verlassen glaubte
Danke für diesen
guten Montagmorgen
wo alles wieder von vorne beginnt
Danke für diese
Arbeitswoche
die wieder allerhand
Ärger bringt
Totgestellt haben wir uns
Und trotzdem angetreten
Es ist ja alles so wichtig
so oberwichtig und
FORMVOLLENDET
Das endet ja nie,
das geht ja nicht gut aus
Der Anfang geht noch
aber dann wird es immer
endloser
Ich gehe
also bin ich
Ich gehe hin
also verdiene ich mich
Ich bin sehr
bewegt
HAT SIE BEI DER ARBEIT
LEZTE WOCHE
WAS BEWEGT?
WUT hat Sie bewegt
Gut, dass Sie die Bewegung spüren
SIE FÜHLEN SICH NUR SO
TOTENKALT AN
SIE SEHEN NUR SO BLEICH AUS
SO GRAU UND VERENDET
VOR DER ZEIT
ABER VERDIENT
SIE HABEN SICH DAS ALLES
SCHWER VERDIENT
DASS SIE SO DRAUF SIND
DASS SIE DAS KÖNNEN
SO DRAUF SEIN
DASS KEINER MERKT
WIE FURCHTBAR
TRAURIG SIE SIND
Dunkel
Ende zweites Trimester
Drittes Trimester
Das Märchen
Die beiden Feldbetten jetzt wieder mittig vorne, die Himmelsleiter als obere Brücke zwischen den Betten
Musik: Kinderchor, „Dornröschen war ein schönes Kind“, alle Strophen, die Gruppe bewegt sich pantomimisch entsprechend zum Liedtext
Rita Engel, oben auf der Brücke sitzend, neben ihr Rudolf Purzel
So lange hatten der König und die Königin schon auf ein Kind gewartet, aber es kam keins. Rita Engel fängt an zu weinen, Purzel legt den Arm um sie.
Frau Ka:
ICHWILLKEINGELDVERDIENENMÜSSEN
Rita Engel, sich schneuzend:
Können Sie das bitte positiver formulieren
Frau Ka:
Meine Mutter ist mir sehr lieb.
Rudolf Purzel, tröstend über Rita Engels Haar streichend:
Schon besser
Frau Ka:
Mein Ego macht Sperenzchen
Prof. Fritz:
Sie haben Humor
Erfolg wäre
Frau Ka:
Ich kann gut lachen
Rita Engel:
Der Patientin fehlt Ausdauer.
Majorin
Dysfunktionale Selbstbezüge.
Frau Ka:
Für was?
Student:
Im Allgemeinen
Frau Ka:
Wo bekomme ich die her
Majorin:
sehr teuer
Frau Ka:
Geld spielt nur eine Nebenrolle – irgendwie
Prof. Fritz:
Das Leben ist kein Preisausschreiben
Majorin:
Nein?
Prof. Fritz:
Sie können ja auch nur bedingt
was dafür, dass Sie so sind
Rudolf Purzel:
Eben.
Prof. Fritz:
Es könnte schlimmer sein.
Rudolf Purzel:
Genau.
Rita Engel:
Lasst uns weiterspielen!
Alle in Position.
Rita Engel:
Da endlich gebar die Königin ein kleines Mädchen Rita Engel hechelt, windet sich wie in Wehen
Rudolf Purzel, sehr schnell:
…. das war wunderhübsch und die Freude im Schloss unermesslich. Der König ließ alle Feen des Landes einladen, dass sie zur Geburt gratulieren konnten.
Rita Engel:
Aber wir hatten nicht genug goldenes Besteck
Rudolf Purzel:
Da wurde die dreizehnte Fee wieder ausgeladen.
Frau Kaals böse Fee:
Das wird euch teuer zu stehen kommen, ihr feistes Königspack!
Majorin im unteren Feldbett rechts als Baby-Dornröschen bitterlich schreiend.
Purzel als Koch zur Prinzessin eilend, um sie zu trösten
Rita Engel:
Und die Feen kamen, um der frisch geborenen Prinzessin ihre guten Wünsche zu bringen ….
Rita Engel und Purzel bringen zur Untermalung der Märchenszene Musikinstrumente zum Einsatz, Schalmeien, Glockenspiel usw.
Prof Fritz, Student und Frau Ka als Feen verkleidet
Prof. Fritz tritt als gute Fee 1 an das Kinderbett:
Ich bin die erste Fee. Ich wünsche dem goldlockigen Dornröschen einen nicht-prekären Arbeitsplatz
Student:
Ich wünsche ihm ein Girokonto.
Prof. Fritz:
Teamfähigkeit.
Frau Ka:
Leistungswille!
Sie lacht bösartig
Prof. Fritz:
Darstellungsfreude
Frau Kamit hexischem Vergnügen:
Rente mit 87 hihihi
Student:
Anti-Aging
Frau Ka, betont gelangweilt:
dreifach serielle Monogamie
Prof. Dr. Fritz:
sechs Kita-Plätze für die Kinder
Wünsche immer schneller vortragend
Student:
einen Medikamentenkoffer
Prof. Fritz:
Frustrationstoleranz
Frau Ka, böse raunend:
Und wenn sein Feuer erwacht, soll sein ganzer Staat den Bach runtergehen. Verflucht!
Majorin als Dornröschen schreit erbärmlich, Rudolf Purzel singt ihr ein Wiegenlied. Rita Engel begleitet ihn auf einer Blockflöte.
Prof. Fritz, jovial:
Hhm . Also ich mildere das jetzt mal ab: Sagen wir … Hundert Jahre Schlaf für alle!
Student:
Kann der Prinz dann auch was davon haben?
Rita Engel, ihn schelmisch ermahnend:
Sie sollen doch durch die Dornenhecke kommen und Dornröschen aus dem Schlaf küssen.
Student:
Ehrlich, ich würde lieber erst mal schlafen.
Frau Ka:
Das ist alles erotisch konnotiert, mein Lieber. Ich war auch mal Geschäftsführerin der psychoanalytischen Märchen & Co Company….
Student:
Und wie machen wir die Dornenhecke?
Frau Ka:
Kein Problem. Das sind doch Dornröschens Depressionen. Da kommt erst mal keiner durch. Aber mit der Pubertät verwachsen die sich ja meistens zum Glück.
Prof. Fritz:
Also jetzt – Ohrfeigen!!!
Alle ohrfeigen sich.
Prof. Fritz:
Langsamer!
Alle ohrfeigen sich langsamer. Auch Rita Engel und Rudolf Purzel ohrfeigen sich.
Prof. Fritz:
Immer wenn ihr euch ohrfeigt, bleibt die Zeit stehn.
Student:
Und dann dürfen wir schlafen
Rudolf Purzel:
Genau
Prof. Fritz:
Nein, der Prinz nicht.
Alle kriechen in und auf die Betten und schnarchen außer dem Student, der als Prinz jetzt außen vor ist.
Student, nun allein, mit dem Rücken zum Feldbetten-Schloss, zum Publikum:
Ich wusste gar nicht, wie müde ich war. Ich bin noch so jung und habe schon fast alles erlebt. Drei Bachelor, ein Master und vier Auslandsaufenthalte. Mehrere Freundinnen. Einmal fast verheiratet. Ein abgetriebenes Kind. Wer schnell lebt, ist schnell fertig. Es dreht sich alles immer schneller. Ich habe immer getan, was ich musste. Das heißt, ich habe schon vieles entschieden. Entschlossenheit ist der Schlüssel zum Erfolg. Nie stehenbleiben. Ich wachse unaufhörlich und komme nicht weiter. Ich weiß nicht, was Tiefe heißt, weil ich unablässig expandiere. Ich bin zur ständigen Selbstoptimierung verdammt. Und jetzt soll ich auch noch Dornröschen retten. Ich bin doch selbst in therapeutischer Behandlung. Ich muss immer weiter machen, ich finde keine Ruhe. Meine Seele ist hin. Ich bin ein rasender Jüngling. In meiner Freizeit mache ich natürlich Sport. Ich habe eine gute Konstitution. Ich kann singen, dass Ihnen die Ohren abfallen. Ich spreche viele Sprachen gleichzeitig. Ich bin Master des Simultanmanagements und Glücksprophetsbachelor. Ich habe viele Leben. Ich bin der mit allen Wasser gewaschene Kater. Ich bin die Zukunft, der Dauerlauf und ein einziges Energiebündel. Ich bin die Entfesselung der ungenutzten Möglichkeiten. Ich bin sexy. Ich bin sexy. Ich habe keine Angst. Ich habe gelernt, sehr einfühlsam kommunizieren. Ich bin die Angst, die Wahrheit und die Großbaustelle.
Aber Dornröschen … es soll ja schon als Teenie in die Fänge einer ökonomistischen Sekte geraten sein. Seine Eltern wollten auch nur das Beste …Ein Königreich auf Erden für alle bildungsnahen Einzelkinder. Ich bin zu positiv thinking verflucht. Ich muss Dornröschen retten. Weg mit den schwarzen Gedanken! Taten wollt ihr sehen … Ich kenne keine Faulheit. Ich bin der tätige AllInclusivTyp. Ich kann alles erreichen. Ich komme überall hin. Rennt zum Dornröschenbett und bricht dort zusammen.
Majorin:
Wie günstig. Ich habe sowieso kein Interesse an Geschlechtsverkehr.
Rita Engel:
Sie sollten aber doch mal wieder an eine neue Partnerschaft denken…
Bläst auf Schalmeien, Purzel spielt nun eine Triangel usw.
Frau Ka:
Hier geht es ja drunter und drüber. Ich dachte, Paarbildungen stören den selbstanalytischen Prozess.
Prof. Fritz:
Hier fehlt eine klare Klinikleitungsdirektive!
Rita Engel:
Fürchtet euch nicht. Ich verkünde euch eine große Freude!
Majorin:
Sie sind im falschen Stück.
Purzel lacht. Majorin freut sich darüber.
Prof. Fritz:
Das geht ganz tief rein. Das sind ganz viele Ebenen. Bei meinem letzten Aufenthalt bin ich bis zu meiner Urgroßmutter gekommen. Sehr dominant. Lustfeindlich und so weiter. Ich spreche nicht mehr mit ihr. Konsequente Abnabelung.
Purzel:
Bravo!
Die anderen schauen ihn erschrocken an.
Prof. Fritz:
Ja, dann holen Sie doch endlich den Gaul!
Rita Engel:
Denn sehet, der Retter ist nah!
Purzel holt sein Fahrrad. Hilft dem Student beim Aufsitzen und schiebt ihn an. Student radelt um das FeldbettenSchloss herum.
Der Student küsst die Majorin. Anschließend küssen sich alle und tanzen Ringelreihen.
Rita Engel:
Wenn das die Chefin sehen könnte!
Rita Engel und Rudolf Purzel küssen sich
Rita Engel und Rudolf Purzel, treten hervor
Höret die Worte der Heiligen Petra:
Die Heilige Petra als Videoprojektion erscheint im Hintergrund
Die Theatertherapie wird unsere Klinik wieder auf Vordermann bringen. Ganz schnell werden die Patienten die neuen Selbstbewusstseinsrenditen in ihrem beruflichen wie privaten Leben umsetzen können. Die Konkurrenz schläft nicht. Ein Konzept mit Zukunft. Die Kassen werden noch dahinterkommen. Bühnenkompetenz! Grandiose Evaluationserfolge! Nur die Schlaffähigkeit ist noch nicht zufriedenstellend. Insgesamt aber kann mit einem Leistungsertrag in bisheriger Höhe gerechnet werden.
Alle klatschen.
Verbeugung.
Dämmerlicht.
Abspann
Prof. Fritz, mit Hut:
Früher als Junger
fühlte sich die Einsamkeit an
wie eine Viruserkrankung
Man hatte sie zu überstehen
Sie ging vorbei
Eine vorübergehende LebensfreudeGefährdung
Es gab Zeiten der Anfälligkeit
Der Biorhythmus erlahmte
zwischen vier und fünf Uhr nachmittags
oder an Sylvester
im VorKater allein oder mit anderen
im NachGejammer
dem aber bald wieder
ein gemütlicher Austausch
folgte
eine Vorfreude auf Anerkennung
der eigenen Fröhlichkeit,
des Lebens- und Erkenntnisgenusses
des immer wieder Netze-Auswerfens
Überraschungen einsammeln
und Freundlichkeiten
Euphorisches herannahen fühlen
und lauschen – erstaunt –
auf Wurzelgeheimnisse,
die ihre Fühler ins Werden
ausstrecken
Majorin, hastig mit Plüschtiergepäck und Medikamentenkofferbeladenüber die Bühne ins Off:
Sie vermiesen mir den Abgang!
Prof. Fritz:
Viel Spaß an der Arbeitsfront!
Lüftet seinen Hut
Purzelüber die Bühne radelnd, mit Rauschgoldengel auf dem Gepäckträger:
Alles wird gut!
Rita Engel:
Alles ist gut!
Purzel lacht.
Im Hintergrund Blitzprojektionen von Geburten, Babys, auch Babys im Tierreich, säugenden Mamas etc., dazwischen ganz kurz eruptive Szenen von Wolken- und Vulkanausbrüchen, dann wieder Feuerwerk
Frau Ka, irritiert mit Trolley:
Und was ist jetzt mit dem Weltuntergang und so weiter?
Student:
Ach, das soll ja alles gar nicht haltbar sein … Diese Metapher vom Kapitalismus als Krankheit seiner absterbenden Gesellschaft und so weiter …
Prof. Fritz:
Aus der Rente eine Waffe machen! Meine ist sicher.
Frau Ka:
Kann ich mit Ihnen darüber noch einmal ein Beratungsgespräch führen?
Prof. Fritz, reicht ihr den Arm, beide ab, den Trolley hinter sich herziehend.
SchönWetterBilder als Hintergrundsprojektionen. Die Heilige Petra als verwaschenes Projektionsbild … langes wallendes weißes Haar, weißes Gewand etc. trägt von links nach rechts die Himmelsleiter vorüber, unablässig nickend. Rauschgoldengel und Purzel auf dem Fahrrad eine Riesenspritze transportierend. Man sieht noch einmal die Majorin als Projektion hektisch sackhüpfend über der Leinwand, und Prof. Fritz mit Frau Ka jetzt Arm in Arm. Frau Ka macht das Victory-Zeichen. Student mit Transparent „Keine Panik auf der Titanic“ taucht ganz schnell auf, stolpert und verschwindet wieder. Die Heilige Petra als verwaschenes Projektionsbild … langes wallendes weißes Haar, weißes Gewand etc. trägt nun von rechts nach links die Himmelsleiter aus dem Bild, unablässig gütig nickend.
Ende